Die Macht der Frauen im Großen Basar
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die Macht der Frauen im Großen Basar
Über Jahrhunderte waren Händlerinnen im Großen Basar von Istanbul ein Tabu. Doch die Zeiten ändern sich – immer mehr Frauen dringen in die von Männern dominierte Welt vor.
Hinter den bunten Bauchtanzkostümen, die den schmalen Eingang des Ladens fast verdecken, sitzt Hülya Yasar und beugt sich über ein Seidenbustier. Tausende von Menschen ziehen an ihr vorbei durch den Großen Basar von Istanbul, doch das stört sie nicht. Mit ruhiger Hand stickt sie goldene Pailletten auf, eine nach der anderen. “Ich führe das Geschäft nun schon seit zwanzig Jahren”, sagt die vierundfünfzig Jahre alte Dame. Sie lächelt ein wenig traurig, denn damals starb ihr Mann. Plötzlich musste sie für sich und die beiden kleinen Söhne den Lebensunterhalt verdienen. Die junge Witwe übernahm den Pfeifenladen ihres Mannes, entwarf dann Kleider für die Hennanacht vor der Hochzeit und näht nun Bauchtanzkostüme. Es war eine mutige Entscheidung: Damals wagte kaum eine Frau, in den von Männern dominierten Kapali Çarsi, den größten überdachten Basar der Türkei, einzudringen.
Das hat sich bis heute kaum geändert. Nur wenige Frauen leiten ein Geschäft in dem mehr als fünfhundertfünfzig Jahre alten Handelszentrum. Nur zweihundert weibliche Angestellte zählt der Basar, insgesamt fünfundzwanzigtausend Menschen arbeiten dort. Anfangs sei es nicht einfach gewesen, denn Witwen werden in dieser traditionellen Welt als besonders hilflos angesehen. Doch das war auch ein Vorteil: “Meine Nachbarn haben mich immer unterstützt und waren freundlich.”
Händchen für lange Preisverhandlungen
Dass nur so wenige Frauen im Basar arbeiten, hat für Hasan Firat, den Präsidenten der Vereinigung der Basarhändler, nichts mit Unterdrückung zu tun: Die Türkei sei ein modernes Land. Tatsächlich werden in vielen Banken und Unternehmen die Führungspositionen von Frauen besetzt. Im vergangenen Jahr wurde wieder eine Frau zur Vorsitzenden von Tüsiad gewählt, dem wichtigsten Unternehmerverband des Landes. Besucht man eines der neuen luxuriösen Einkaufszentren in Istanbul, dann wird man dort überwiegend von weiblichen Angestellten bedient. Doch der riesige Kapali Çarsi, der sich mit mehr als sechzig Straßen auf über vierzigtausend Quadratmeter erstreckt und den bis zu fünfhunderttausend Menschen pro Tag besuchen, ist eine Welt für sich. Hier muss man früh die Hand unterm Stein haben, sagt ein türkisches Sprichwort. Die meisten Jungs sammeln schon mit sieben oder acht ihre ersten Erfahrungen als Laufburschen und arbeiten sich über die Jahre hoch. Der Job ist hart, Eltern gäben ihre kleinen Töchter deshalb nie in die Obhut eines Basarhändlers. Ist das Mädchen dann älter, ist der Einstieg schwer: Der Basar ist das Zentrum des türkischen Gold- und Devisenhandels; fast ein Drittel der 3600 Läden verkauft Gold und Schmuck, fünfhundert Geschäfte handeln mit Teppichen. “Bei so wertvoller Ware vertrauen die Händler eher Gesellen, die von Kind an für sie arbeiten, als einer neuen Angestellten. Außerdem ist das Feilschen um den Preis nichts, das man von heut auf morgen lernt”, sagt Firat.
Wie schwierig ein später Einstieg ist, hat die dreißig Jahre alte Sebnem Günbatti erfahren. Seit vier Jahren arbeitet sie im Laden des Vaters: “Mir fehlt es noch an Erfahrung. Der Basar ist wie eine Universität. Mein Vater ist der beste Lehrer, den ich haben kann. Er arbeitet schon seit zweiundfünfzig Jahren hier.” Eines hat sie schnell gelernt: Ein Händchen für lange Preisverhandlungen braucht man im Basar als Frau nicht: Die Touristen feilschen nur, wenn ein Mann sie bedient. Ihr gutes Englisch hat Sebnem in den Ferien in Oxford gelernt. Nach dem Studium begann sie eine Hotelkarriere. Doch ihr Gatte wollte nicht, dass sie in einem Hotel arbeitet. Sie gab den Job deshalb auf. “Hätte ich mich durchgesetzt, wäre ich jetzt vielleicht im Management”, sagt Sebnem Günbatti. Sie ist mittlerweile geschieden. Und lässt sich von Männern nichts mehr vorschreiben: “Als Frau ist es nicht einfach im Basar. Oft glotzen mich die Verkäufer wie hungrige Wölfe an. Die meistens haben jedoch Angst vor mir. Sie wissen, dass ich schlagfertig auf Frechheiten reagiere.”
Bessere Atmosphäre im Basar
Auch Uzay Meriç, die früher das beliebte Café Ay in der Takkeciler Straße im Herzen des Basars betrieb, brachte den Männern Manieren bei. Sie machte es sich zur Aufgabe, gutgläubige Touristen vor zu geschäftstüchtigen Händlern zu schützen. “Wenn ich sah, dass jemand versuchte, einen Kunden zu betrügen, wurde ich wütend”, sagt sie. “Irgendwann hörten sie damit auf.” Über die Jahre hat sie sich den Respekt der Männer verdient. Sie kommt zwar nur noch selten in den Basar, denn sie lebt heute am Schwarzen Meer. Doch die Begrüßungen sind herzlich. Ihre alten Nachbarn umarmen sie. Neuigkeiten werden ausgetauscht. Nur in einer Hinsicht sind die Händler froh, dass Uzay nicht mehr im Basar arbeitet: Die Zeiten, in denen sie beim Backgammon-Spiel von einer Frau geschlagen wurden, sind vorbei.
Die Händler haben längst erkannt, wie wichtig es ist, mehr Verkäuferinnen im Basar zu haben. Der Juwelier Salim Aydogan heuerte vor elf Jahren eine Assistentin an. Es war eine Entscheidung, die er nie bereute. Für sein gutes Verhältnis zu den Kunden sei sie unentbehrlich. Auch in den Augen von Burhan, dem Inhaber des Restaurants Havuzlu, brauchen die Händler weibliche Unterstützung: Damit sie sich besser benehmen, damit die Atmosphäre im Basar freundlicher ist, damit die weibliche Kundschaft sich wohler fühlt.
Verkaufen ohne Kopftuch
Obwohl der Basar bei vielen ausländischen Gästen als Touristenfalle verschrien ist, scheint das Vertrauen gegenüber den Händlerinnen unbegrenzt. Uzay Meriç erzählt von einem japanischen Paar, das einmal in ihrem Café zu Gast war. “Sie tranken ihren Kaffee, zahlten und fragten mich dann, ob ich nicht auf ihr Baby aufpassen könnte, solange sie einkaufen. Sie haben mir vertraut, weil ich eine Frau unter so vielen Männern war.” Zusammen mit Nuran Çam, der heutigen Besitzerin des Ay-Cafés, sitzt sie an einem der kleinen Tische in dem Kaffeehaus. Es liegt in einer der belebtesten Straßen des Basars. Nuran Çam trägt ein eng anliegendes Top und eine elegante Hose. Uzay Meriç hat zerrissene Jeans und Boots an. Die beiden Frauen sehen sich als ein Aushängeschild der modernen Türkei. Die ausländischen Gäste sollen sehen, dass Frauen in der Türkei frei sind und nicht unbedingt ein Kopftuch tragen. Dass sie Türkinnen sind, können viele von ihnen kaum glauben – so groß sind die Vorurteile.
Unter osmanischer Herrschaft war es undenkbar, dass Frauen im Basar arbeiten. Im Zeitalter von Byzanz hingegen verkauften noch Händlerinnen die Waren auf den Märkten der Stadt. Doch nach der Eroberung durch die Osmanen galten dort islamische Gesetze – auch in dem Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts unter Sultan Mehmet II. gebauten Cevahir Bedesteni, dem heutigen Mittelpunkt des Basars. Über die Jahrhunderte wuchs der Markt immer weiter, neue Gebäude, Straßen und Gewölbe kamen hinzu, bis der Kapali Çarsi Ende des neunzehnten Jahrhunderts seine heutige Form angenommen hatte. Auch wenn es unter den Osmanen keine Händlerinnen gab, so war der Basar doch einer der wenigen Orte, an denen man die Zurückgezogenheit der weiblichen Bevölkerung nicht so ernst nahm. Manch eine Frau kaufte dort ein. Die Bauweise der Geschäfte kam ihnen dabei zugute: Die Läden hatten weder Vorhänge noch Glasvitrinen oder Schaufenster. Stoffe aus feinster Seide, in den schönsten Farben schimmernder Musselin und Samt wurden an Haken, in Regalen und Schränken an den Wänden ausgestellt. Die Kundinnen mussten sich so nicht in einen engen Laden quetschen, die Verhandlungen wurden im Offenen geführt. So kam niemand auf die Idee, einer Dame unmoralisches Verhalten vorzuwerfen. Als Atatürk die moderne Türkei gründete, wurde das Frauenwahlrecht eingeführt. Seitdem gab es immer wieder Reformen, die, zumindest dem Gesetz nach, für mehr Geschlechtergleichheit sorgten. Dennoch beobachten viele einen gesellschaftlichen Rückschritt unter der derzeitigen Regierung Erdogan. “Es wird zu viel darüber geredet, dass immer mehr Frauen ein Kopftuch tragen. Das gibt dem Thema eine Bedeutung, die wir nicht wollen”, sagt die Textilhändlerin Hande Ertas. Doch sie lässt sich nicht davon beeindrucken. Für Hande Ertas war es selbstverständlich, dass sie nach ihrer Heirat ihren Familiennamen behielt und ein Geschäft im Basar führt. Ihr Mann sei anfangs etwas eifersüchtig gewesen: “Ich komme oft spät nach Hause und habe wenig Zeit für ihn. Aber damit muss er eben leben”, sagt sie selbstbewusst. Doch sie weiß auch, dass sie sich der Männerdomäne Basar anpassen muss. Miniröcke sind für die Siebenundzwanzigjährige deshalb tabu.
Weihnachtskarten an Kunden
Seit ihrer Kindheit ist der Kapali Çarsi ihr Zuhause. Oft arbeitete sie in den Ferien für ihren Vater, der in fünfter Generation Hamamtextilien im Basar verkauft. “Als ich als Mädchen bei ihm aushalf, sagten viele ältere Männer zu ihm, dass ich zu Hause bleiben soll”, erinnert sie sich. Das änderte sich erst, als sie mit neunzehn Jahren ihren eigenen Laden eröffnete: “Die Männer haben Respekt davor, wenn eine Frau ihr eigenes Geld verdient.”
Nicht nur die Gesellschaft des Basars hat sich über die Jahrhunderte verändert, sondern auch die Art des Geschäftemachens. Kundenbeziehungen werden per E-Mail, Telefon und Fax gepflegt. Manche Händler verschicken sogar Weihnachtskarten an die ausländische Kundschaft. Das seien Dinge, die Frauen einfach besser könnten. Als Frau habe man eher einen Sinn für so etwas.
Verschworener Kreis der Händler
Hande Ertas ist stolz darauf, dass sie einmal die jüngste Händlerin im Basar gewesen ist. Diese Auszeichnung kommt jetzt der vierundzwanzig Jahre alten Sevil Ozcihan zu. Seit zwei Monaten arbeitet sie für einen Großhändler für osmanische Kostüme. Zuvor hatte sie keine Berührungspunkte mit dem Basar. Nur ihr Großvater erledigte dort manchmal seine Einkäufe. Durch Zufall erfuhr sie von einem freien Job und bewarb sich. Ihre Eltern konnten das nicht verstehen, doch die Tochter setzte sich durch. “Mein Vater begleitete mich an meinem ersten Arbeitstag. Das war wie in der Grundschule”, sagt sie. Anfangs habe sie ein wenig Angst vor dieser Männerwelt gehabt. Aber bis jetzt hat sie nur gute Erfahrungen gemacht. Auch ihr Chef ist zufrieden. Seitdem die junge Frau für ihn arbeitet, ist der Laden ordentlicher – die weibliche Note ist unverkennbar.
Sevil Ozcihan bewundert ältere Kolleginnen wie Hülya Yasar und Hande Ertas. Irgendwann möchte auch sie auf so viele Jahre Erfahrung im Basar zurückzublicken können und ein Teil des verschworenen Kreises der Händler sein. Das dürfte nicht lange dauern. Denn in einem Punkt sind sich hier alle einig: Wer einmal die Luft des Basars geschnuppert hat, ist dem Ort verfallen.
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